Wie Ukraines Präsident sich von Donald Trump instrumentalisieren ließ
„Ukraine-Affäre“ und „neuer Watergate-Skandal“ – so titelten deutsche Massenmedien wegen des Telefonats von US-Präsident Donald Trump mit seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj am 25. Juli. Sie kritisierten vor allem den Versuch Trumps, mit Unterstützung aus Kiew gegen den ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden und dessen Sohn Hunter vorzugehen und sogar Selenskyj dazu zu drängen.
Auch die ukrainische Presse, die sich sonst hauptsächlich der innerpolitischen Entwicklung und dem Verhältnis zu Russland widmet, fand dafür viel Platz und sprach zum Teil von einem „möglichen Druck“ Trumps auf Selenskyj.
Die US-Demokraten werfen Trump Amtsmissbrauch vor und initiierten ein Amtsenthebungsverfahren. So bleibt das Telefonat für Trump nicht folgen- und schadenlos. Inwiefern wird es jedoch die Ukraine und die Position Selenskyjs im In- und Ausland beeinflussen?
Seit der Unabhängigkeit pflegt jeder ukrainische Präsident die strategische Partnerschaft mit den USA. Selbst für die scheinbar russlandfreundlichen Staatsoberhäupter wie Leonid Kutschma und Viktor Janukowitsch war Amerika ein wichtiger Gegenpol zu Russland. Die Annäherung an Washington oder schon deren Erwägung galt in der Vergangenheit als Argument im wirtschaftlichen oder politischen Streit mit Moskau.
Selenskyj setzte noch in seiner Funktion als Präsidentschaftskandidat offen auf den amerikanischen Beistand im Kampf in der Ostukraine und erwähnt in diesem Zusammenhang regelmäßig die USA in einem Atemzug mit der EU. Auch der Kreml „bittet“ das Weiße Haus, diesbezüglich „Einfluss“ auf die Ukraine zu nehmen, was dem amerikazentrischen Weltbild Moskaus entspricht.
Für Trump ist dieser Konflikt dagegen nur eine kleine weltpolitische Fußnote, die überwiegend unter dem Blickwinkel der amerikanisch-russischen Beziehungen zu betrachten ist. Er zeigt sein Desinteresse an einer aktiven Parteinahme und empfiehlt Kiew, mit „Russland zu kooperieren“.
Von diesem Hintergrund machte Selenskyj mehrere Fehler bei seiner Bemühung, den US-Präsidenten um jeden Preis auf seine Seite zu ziehen. Da sind zunächst seine schmeichelnden Phrasen: „Sie sind ein großer Lehrer für uns in dieser Hinsicht“, ist im Protokoll zu lesen, das fast zeitgleich mit der Unterzeichnung der sogenannten Steinmeier-Formel durch die Ukraine, einer Roadmap zur stufenweisen Umsetzung des Minsker Abkommens 2015, veröffentlicht wurde. „Die USA sind ein viel größerer Partner für uns als die Europäische Union, und ich bin Ihnen sehr dankbar dafür“, sagte Selinskij und nannte ausdrücklich die Sanktionen gegen Russland.
Das Protokoll zeigt, dass Selenskyj sich instrumentalisieren ließ und so in die innenpoltische US-amerikanische Auseinandersetzung verwickelt wurde, ein Worst-Case-Szenario für jeden ausländischen Staatschef. Selenskyj unterstützte außerdem Trumps Behauptung, Deutschland und Frankreich unternähmen zu wenig für eine friedliche Lösung des Konflikts. Tatsächlich sind Paris und Berlin, anders als Washington, offizielle Akteure des Normandie-Formats und nehmen das Konzept sehr ernst, wonach eine gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur ohne Frieden in der Ukraine undenkbar ist.
Der Vorwurf der beiden Gesprächspartner, die EU tue für die Ukraine so gut wie nichts, stieß auf scharfe Kritik aus Brüssel. Am deutlichsten widersprach Elmar Brok, Ukraine-Berater des amtierenden EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und zugleich ein Berater Angela Merkels in osteuropäischen Fragen. Somit verfehlte Selenskyj sein Ziel, die europäischen Mächte über Washington zu mehr Engagement zu bewegen, und löste unnötige Irritationen in der Kommunikation mit Brüssel aus.
Selenskyjs Intention ist glasklar: „Frieden im Donbass“ lautete sein zentrales Wahlversprechen, gerade deswegen wurde er von den meisten Ukrainern gewählt. Das Ziel des Staatspräsidenten muss es sein, zumindest die Normandie-Runde wiederzubeleben, denn der Vertrauenskredit der Bevölkerung ist schnell aufgebraucht.
Selenskyj unterschätzt die Sensibilitäten vieler vom Krieg betroffener ukrainischer Bürger. Zwar erwies sich die Widerstandskraft der Opposition um Petro Poroschenko sowie nationalpatriotischer und nationalistischer Kräfte als bescheiden. Aber Selenskyj büßte mehrere Prozentpunkte in Umfragen ein. Er bleibt mit Abstand der populärste Politiker des Landes, die Zustimmung für seine Politik sank jedoch im Oktober im Vergleich zum Vormonat um 12 Prozentpunkte auf 45 Prozent und damit zum ersten Mal seit seiner Vereidigung unter die Hälfte. Selenskyjs Beliebtheit im Allgemeinen sank um 9 Prozent. Auch der Optimismus der Menschen, noch im Frühjahr 2019 wegen des neuen Hoffnungsträgers auf Rekordniveau, nimmt laut Meinungsforschern des Rasumkow-Zentrums spürbar ab. Nur 34 Prozent der Befragten (minus 7 Prozentpunkte) glauben, die Ukraine könne die gegenwärtigen Schwierigkeiten in absehbarer Zukunft bewältigen, 10 Prozent sind davon überzeugt, dass das nie der Fall sein wird (plus 4 Prozent).
Gerade aus der Perspektive des drohenden Popularitätsverlusts könnte Selenskyj den Beistand der EU, die einen positiven Ruf in der ukrainischen Bevölkerung hat, gut gebrauchen. Sein Land bleibt hochverschuldet und ist immer noch auf die vielfältige finanzielle und technologische Hilfe angewiesen. Während die US-amerikanischen Ukraine-Freunde nicht im Weißen Haus, sondern im Kongress sitzen, besteht in den europäischen Hauptstädten Konsens über die Notwendigkeit der Unterstützung der Ukraine. Andererseits wird es für Selenskyj beinahe unmöglich sein, den unberechenbaren Trump als treuen Verbündeten zu gewinnen.
Dmitri Stratievski
ist stellvertretender Vorsitzender des Osteuropa-Zentrums Berlin.