Donnerstag, 26. Dezember, 2024

Der INF-Vertrag ist Geschichte, die Welt muss mit einem neuen Wettrüsten rechnen

Von Peter Koepf

Wer hat Vertrauen zu Donald Trump? Es soll Menschen geben, die darauf setzen, dass die schwedische Akademie Donald Trump bald für den Friedensnobelpreis nominieren muss. Wieso das?

Am 25. April, Wochen nach Aufkündigung des INF-Vertrags, berichtete die Washington Post von einem „aufkeimenden Bestreben“ des US-Präsidenten zur Rüstungskontrolle. Laut eines hochrangigen Mitglieds der Trump-Regierung wolle er Russlands Nuklearwaffen einem neuen Rahmen unterwerfen und China dazu überreden, „einem Waffenkontrollvertrag beizutreten oder seine militärischen Ressourcen erstmals offenzulegen“. Die USA, China und Russland unter einem trilateralen Vertrag zur Kontrolle von Atomwaffen zu vereinen, so hieß es, wäre ein „bahnbrechender diplomatischer Erfolg“.

Drei Tage später schrieb Dinshaw Mistry, Professor an der University of Cincinnati, unter der Überschrift „Globalizing the INF Treaty“ in der Zeitschrift The National Interest: „Ein globaler INF-Vertrag ist realisierbar.“ Er berief sich auf Trumps zweite „State of the Union“-Rede Anfang Februar, als er sagte: „Möglicherweise können wir eine andere Vereinbarung aushandeln und China und andere einschließen.“

Dass ausgerechnet Trump einen schlüssigen Plan verfolgt haben soll, kann sich in Europa niemand vorstellen – schon gar nicht bevor er den INF-Vertrag gekündigt hatte. Auch in Russland glaubt daran niemand. Das wurde auch bei der Sitzung der Arbeitsgruppe Medien des Gesprächsforums Petersburger Dialog Mitte Mai in Baden-Baden klar. Der Chefredakteur des Onlinemediums Jeschednjewni Schurnal, Aleksandr Golz, hat „keine Hoffnung, dass wir die Rüstungsspirale stoppen können“. Er hält die angeblichen Bemühungen, China in Verträge zur Reduzierung von Atomwaffen, gerade mittlerer Reichweite, für „aussichtslos“. Was die US-amerikanische Presse schreibe, sei Propaganda. Der bekannte TV-Journalist und Buchautor Leonid Mletschin sieht die USA, Europa und Russland in einem „dritten Kalten Krieg“.

Für Michail Gusman, erster stellvertretender Generaldirektor der Nachrichtenagentur TASS, befänden sich Ost und West noch immer im ersten, der seit Oktober 1917 währe und bis heute nicht beendet sei. Er verglich die Welt mit einem Theaterstück, „an dessen Wänden viele Gewehre hängen“, und wo Gewehre hängen, da würden sie im dritten Akt auch gebraucht.
Auch Andrej Zagorskij, Leiter der Abteilung Abrüstung und Konfliktregelung am Primakow-Institut für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften, glaubt nicht an einen neuen INF-Vertrag, weil Peking sich nicht zwingen lassen werde, einseitig einen beträchtlichen Teil seines Raketenpotenzials abzubauen. Vielmehr teilte er in einem Aufsatz in der Zeitschrift Osteuropa die Sicht des Kreml, die USA wollten „einen Keil zwischen Moskau und Peking treiben, da mit dem Wegfall des INF-Vertrags kein Abkommen Russland mehr dran hindert, Mittelstreckenwaffen auch im asiatischen Teil seines Territoriums zu stationieren“. Ein multilaterales Abkommen mit China und vielen anderen, vor allem asiatischen Staaten erfordere einen viel weiteren Ansatz, und den zu finden daure Jahrzehnte.

Die Skepsis ist berechtigt, auch wenn nicht nur russischen und deutschen Politikern die hohen Kosten für Verteidigung ein Dorn im Auge sind. „Russland, China und wir geben zusammen Hunderte von Milliarden Dollar für Waffen, inklusive nukleare, aus, was verrückt ist“, sagte Trump im April. „Und ich würde sagen, China wird dabei sein, und ich würde sagen, Russland wird dabei sein. Es ergibt keinen Sinn, dass wir das machen.“

Klingt vernünftig. Aber Trump hatte sein „möglicherweise“ aus der „State of the Union“-Rede mit einem zweiten verknüpft: „Oder wir können es möglicherweise nicht, dann werden wir mit Ausgaben und Innovationen die anderen bei weitem übertreffen.“ Insofern sind Trumps Worte nicht als Angebot zu verstehen, sondern als Drohung. Wir erkennen: Leider tritt Vernunft selten an die Stelle fehlenden Vertrauens.

Peter Koepf
ist Chefredakteur dieser Zeitung.