Früher oder später
Michail Fedotow hofft auf ein Ende der Gesetze über ausländische Agenten und unerwünschte Organisationen in Russland
Bei der Verleihung des Dr. Friedrich Joseph Haass-Preises in Berlin äußerten sich nicht nur die Ko-Vorsitzenden des Gesprächsforums „Petersburger Dialog“, Viktor Subkow und Ronald Pofalla, bestürzt über die Aussetzung des Forums, sondern auch alle anderen Redner.
Die Preisverleihung wurde lange erwartet, da die Epidemie sie im vergangenen Jahr unmöglich gemacht hatte. Nachdem sich die Situation etwas gebessert hatte, konnten die Preisträger in den Festsaal des Hotels Adlon eingeladen werden. Mit dem Haass-Preis des Deutsch-Russischen Forums wurden Michail Fedotow, langjähriges Vorstandsmitglied des Gesprächsforums und Leiter der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft, und Lothar de Maizière, letzter Ministerpräsident der DDR und langjähriger Leiter des „Petersburger Dialogs“ von deutscher Seite, für ihre besonderen Verdienste um die Beziehungen zwischen beiden Ländern ausgezeichnet.
In den Reden vor der eigentlichen Preisverleihung herrschte mehr Bestürzung als Feierlichkeit. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki erinnerte in seiner Rede an die von Willy Brandt eingeleitete Ostpolitik. Damals erwies sich die Kraft der Aussöhnung stärker als die Kraft der Konfrontation. Der Weg zur Veränderung läge in der Annäherung, auch wenn die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland nie frei von Spannungen gewesen seien. Als großen Fehler der Nato bezeichnete Kubicki die Erweiterung des Bündnisses. Sie berühre die russischen Interessen. Er unterstrich: „Wir in Europa können immer noch nicht klären, wo unsere roten Linien verlaufen.“
Als er mit großer Sorge über die Krim, die Situation um Nawalny und den Mord im Tiergarten sprach, erwies sich Kubicki keineswegs als Befürworter von Sanktionen: „Das ist ein Angriff gegen sich selbst“, sagte er dazu und erinnerte an die Worte des ehemaligen deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher: „Wenn man die Eskalationsleiter hinaufsteigt, muss man überlegen, wie man wieder hinunterkommt, zum Ausgangspunkt.“
Ronald Pofalla, der Ko-Vorsitzende des Gesprächsforums „Petersburger Dialog“, zitierte den ehemaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder, der mit Wladimir Putin an der Entstehung des Forums beteiligt war: Er sei überzeugt, dass ein funktionierender Dialog notwendig sei. Diesen Gedanken unterstrich auch Viktor Subkow: „Wenn Erwachsene streiten, leiden die Kinder.“ Während man oben, in der Führung des Forums streitet, ist die Arbeit der vierhundert Teilnehmer in den Arbeitsgruppen des „Petersburger Dialogs“ zum Stillstand gekommen.
Bei der Entgegennahme seiner Auszeichnung zeigte sich Lothar de Maizière in seiner den Deutschen gut bekannten spitzfindigen Art und meinte scherzhaft, seine Karriere vom Berufsmusiker und Juristen zum Ministerpräsidenten sei ein Abstieg gewesen. Doch auch der 80-jährige de Maizière hörte auf zu scherzen, als es um das Gesprächsforum ging: „Wir müssen alle für seine Fortsetzung kämpfen, er darf keine Eintagsfliege sein“ und erinnerte dann an einen anderen berühmten Politiker, Egon Bahr: „Für Deutschland ist Amerika unverzichtbar, aber Russland ist unverrückbar.“
Michail Fedotow, der renommierte Jurist und ehemalige Vorsitzende des Menschenrechtsrates und Berater des Präsidenten, ließ es sich nicht nehmen, eine kurze Ansprache zur Preisverleihung zu halten. Fedotow sagte: „Friedrich Joseph Haass ist als großer Botschafter der Menschlichkeit in die russische Geschichte eingegangen, denn er legte den Grundstein für das gesamte System der Betreuung von Gefangenen und Sträflingen – von der Gefängnismedizin und Wohltätigkeit bis hin zur öffentlichen Kontrolle der Menschenrechte. In Russland nannte man ihn den ‚heiligen Arzt‘; er war katholisch, nicht orthodox, aber seine Heiligkeit stand über den interkonfessionellen Differenzen.
‚Unsere Zäune reichen nicht bis zum Himmel‘, lehrte mich einmal Pater Alexander Men, als er mir die interkonfessionellen Differenzen erläuterte. Und ergänzte: ‚Gott kann sie nicht sehen.‘ Je weniger Verständnis zwischen den Politikern herrscht, desto umfassender sollte der öffentliche Dialog sein. Wenn die Politiker sich in der Regel um die zukünftigen Wahlen sorgen, sollten wir uns um die gegenwärtigen und zukünftigen Generationen unserer Länder sorgen.“
Am Ende seiner Rede ging Fedotow auf einen traurigen Rechtskonflikt ein. Er hatte eigentlich beabsichtig, das deutsche Preisgeld zwei Organisationen zu stiften, denen er als Kuratoriumsvorsitzender vorsteht: der Stiftung „Bewahrung des Gedenkens an die Opfer politischer Repressionen“ und „Gerechte Hilfe“, die von der verstorbenen Ärztin Jelisaweta Petrowna Glinka, bekannt als Dr. Lisa, geleitet wurde. Aufgrund seiner Befürchtung, dass diese Wohltätigkeitsorganisationen dadurch in die Liste der ausländischen Agenten aufgenommen werden könnten, bat Fedotow die Organisatoren, seinen Preis vorerst auf einem separaten Konto zu verwahren: „Früher oder später werden die Gesetze über ausländische Agenten und unerwünschte Organisationen in Russland doch aufgehoben werden.“ Sicherlich hat mit diesen Worten nicht nur der Redner seine Hoffnungen zum Ausdruck gebracht.
Pavel Aprelev
ist Redakteur der russischen Tageszeitung *Kommersant*.