Samstag, 21. Dezember, 2024

Am Vorabend

Von Johann Michael Möller

Die Argumente sind längst ausgegangen. Weder die gebetsmühlenartigen Forderungen nach weiteren Sanktionen noch die immer leiser werdenden Appelle, nicht auch die letzten Gesprächsfäden noch abreißen zu lassen, können über die Eiseskälte hinwegtäuschen, die sich mittlerweile über das deutsch-russische Verhältnis gelegt hat – und die auch die Haltung des westlichen Europas zu seinem größten östlichen Nachbarn beherrscht.

Es geht schon gar nicht mehr um den Interessenkonflikt bei Nord Stream 2, um den Prozess gegen Nawalny, den Berliner Tiergartenmord oder das drohende Ende von Memorial. Das wirklich Erschreckende an der sich immer weiter verschärfenden Lage ist, dass sie diffus zu werden beginnt, dass sie die Ebene der operativen und immer noch lösbaren Konflikte verlässt und sich in ein großes Bedrohungsszenario verwandelt, das den gefährlichen Eindruck des Unvermeidbaren hinterlässt. Vielleicht haben es die heute lebenden Generationen schon wieder vergessen: So muss sich der Vorabend angefühlt haben, bevor der militärische Wahnsinn begann.

Wir klammern uns in diesen Tagen an die politische Vernunft, hoffen auf die erprobten Kanäle der Diplomatie und die professionellen Akteure der Macht. Aber wer will sich da tatsächlich noch sicher sein. Jeder beliebige Blick in die Kommentarspalten belehrt eines anderen.

Der öffentliche Ton verschärft sich von Tag zu Tag, und kaum eine Schlagzeile erscheint so unverantwortlich, als dass man sie nicht irgendwo zu lesen bekäme. Der Ernstfall wird gar nicht mehr als solcher zur Debatte gestellt, sondern nur noch die Gründe, die dazu führen.

Wer ein wenig in Mediengeschichte bewandert ist, kennt die historischen Parallelen und weiß auch, wie sehr die Gefahr besteht, dass mahnende Stimmen verstummen. Wer will sich schon mit einer historischen Gewissheit anlegen, die keine Anfechtungen kennt. Der Versuch, in diesen Tagen noch eine gemeinsame Ausgabe des *Petersburger Dialogs* zustande zu bringen, wirkt fast schon vergeblich. Sie maßt sich keine strategische Rolle an, sondern verbindet persönliche Stimmen. Auch da, wo die Politik schweigt, können Menschen noch miteinander reden. Mehr will diese Zeitung nicht zeigen.