Donnerstag, 21. November, 2024

Beim Schutz von geistigem Eigentum in der pharmazeutischen Industrie entscheiden russische Gerichte meist zugunsten russischer Unternehmen. Nun ist Bayer betroffen

Von Maria Kotova

Das deutsche Pharma-Unternehmen Bayer hat Pläne zur Herstellung des Krebspräparats Nexavar in Russland auf Eis gelegt, nachdem trotz wirksamen Patentschutzes ein vergleichbares Arzneimittel auf den russischen Markt gekommen ist. In einem bisher fast eineinhalb Jahre währenden Rechtsstreit haben russische Gerichte gegen das deutsche Unternehmen entschieden. Der Streit dauert an.

Das Medikament Nexavar wird unter anderem zur Behandlung von Nierenzellkarzinomen eingesetzt. Diese Krebsform ist eine der am meisten verbreiteten Formen. Weltweit werden jährlich etwa 600 000 Fälle registriert, in Russland waren es allein 2017 rund 8000.

Das deutsche Pharmaunternehmen Bayer entwickelte Nexavar im Jahr 2005 und ließ das Präparat 2007 in Russland registrieren. 2012 wurde es in die Liste lebenswichtiger und dringend benötigter Medikamente aufgenommen. Diese Liste enthält Medikamente, die der russischen Bevölkerung im Rahmen staatlicher Garantien bereitgestellt werden. Aus diesem Grund wird Nexavar bereits seit Jahren von den dem Gesundheitsministerium unterstehenden Einrichtungen eingekauft.

Laut Auskunft der Marketingagentur DSM Group betrug der Umsatz bei Nexavar in Russland im Jahr 2016 1,5 Milliarden Rubel (rund 21 Millionen Euro), 2017 stieg er auf 1,6 Milliarden Rubel. Wegen der großen Nachfrage nach dem Präparat auf dem russischen Markt entschloss sich Bayer, dessen Herstellung nach Russland zu verlagern. Eine entsprechende Vereinbarung wurde vom Konzern 2016 mit dem Petersburger Pharmaunternehmen Polisan geschlossen. In dem Werk wird bereits das Bayer- Antibiotikum Avelox produziert und nun sollen Stivarga, ein Arzneimittel zur Behandlung von Krebserkrankungen, und andere folgen.

Sollte die russische Regierung nicht bemüht sein, nicht einzukaufen, sondern vor Ort produzieren zu lassen, indem man die Technologie übernimmt und so neue Arbeitsplätze für die russische Bevölkerung schafft?

Die Vertragsparteien haben bereits eine Milliarde Rubel in das Lokalisierungsprojekt investiert. Die Lokalisierung der Produktion von Nexavar sollte in diesem Jahr abgeschlossen werden.

Ein Jahr zuvor war der Absatz von Nexavar jedoch stark zurückgegangen und lag nur noch bei 900 Millionen Rubel. Dies war der Tatsache geschuldet, dass ein vergleichbares Arzneimittel unter dem Markennamen Sorafenib-Nativ von der lokalen Firma Nativa auf den russischen Markt gebracht wurde. Dabei sind noch zwei Patente für das Bayer-Präparat in Russland gültig, und zwar bis 2022 und 2026.

Nativa ließ sein vergleichbares Arzneimittel im Jahr 2017 registrieren. Bayer war daraufhin besorgt, dass das vergleichbare Präparat in Verkehr gebracht wird, und erhob beim Arbitragegericht in Moskau Klage gegen Nativa. Bayer forderte, dass dem russischen Unternehmen der Verkauf seines Arzneimittels bis zum Ablauf der Schutzdauer des Patents untersagt wird.

Während des sechsmonatigen Prozesses konnte Nativa nachweisen, dass das Unternehmen bei der Entwicklung von Sorafenib-Nativ eine eigene Patentformel verwendet hatte. Aus diesem Grund wies das Gericht die Forderungen von Bayer zurück. Diese Entscheidung wurde von der Berufungsinstanz bestätigt.

Der deutsche Konzern konnte jedoch eine Aufhebung der Entscheidung der beiden vorangegangenen Instanzen erreichen und der Fall wurde zurückverwiesen. Die neue Verhandlung begann im November 2018 und dauert an.

Unterdessen verkaufte Nativa sein Medikament über die Teilnahme an staatlichen Ankäufen. Das Unternehmen konnte Lieferverträge für Sorafenib-Nativ in den Regionen abschließen, da das gleichwertige Medikament gegenüber dem ursprünglichen Nexavar zu einem niedrigeren Preis angeboten wird. So liegt sein Höchstpreis bei 103 000 Rubel (rund 1400 Euro) pro Packung, während das Medikament von Bayer bis zu 132 900 Rubel (1850 Euro) kostet. Dadurch erreichte Sorafenib- Native im Jahr 2018 Verkaufserlöse von 760 Millionen Rubel (10 Millionen Euro), und im ersten Quartal 2019 von 380 Millionen Rubel gegenüber 69,3 Millionen Rubel der Nexavar-Verkäufe.

In der Folge stoppte Bayer das Projekt zur Lokalisierung der Produktion des Präparats in Russland. Der Konzern betont, er würde die Zurückverweisung des Verfahrens gegen Nativa als positives Signal betrachten. Das Unternehmen hofft, dass das Gericht dieses Mal den gesamten Akteninhalt eingehender prüfen und berücksichtigen werde, dass Sorafenib-Nativ offiziell als generische Kopie von Nexavar zugelassen wurde.

Nativa seinerseits betonte mehrfach, dass das Unternehmen sich an die gesetzlichen Vorschriften halte und im Interesse der staatlichen Politik bezüglich Importsubstitution und Arzneimittelversorgung handle.

Bedeutet das, dass Richter entscheiden sollen, ob aus Staatsinteresse Regeln gebrochen werden dürfen?

Bayer ist nicht das einzige ausländische Unternehmen, das gegen einen russischen Hersteller prozessiert, nachdem ein gleichartiges Mittel während des Patentschutzes für das Original-Präparat auf den Markt gebracht wurde. Eine Reihe internationaler Hersteller, darunter das US-amerikanische Unternehmen Pfizer und die britisch- schwedische AstraZeneca, waren in einer ähnlichen Lage.

Seit Dezember 2017 gab es 34 Verfahren, die mit dem Schutz von geistigem Eigentum in der pharmazeutischen Industrie im Zusammenhang stehen, 19 davon werden derzeit noch verhandelt. Wie die Gerichtspraxis zeigt, werden fast alle derartigen Streitigkeiten zugunsten russischer Unternehmen entschieden.

Bisher war es lediglich in zwei Fällen anders. So gelang es der Schweizer Novartis im Jahr 2017, ein Verbot der Markteinführung eines gleichartigen Präparats, ebenfalls durch Nativa, vor Ablauf der Patentschutzfrist zu erreichen.

Eine ähnliche Entscheidung fiel im Februar 2019 in einem Verfahren zwischen AstraZeneca und der russischen Gesellschaft des indischen Pharmaunternehmens Jodas Expoim. Laut AstraZeneca sei die Beklagte der gerichtlichen Entscheidung noch nicht nachgekommen.

Bayer hält das Problem des Schutzes geistigen Eigentums auf dem russischen Pharmamarkt für dringend lösungsbedürftig und hat der Regulierungsbehörde seine Vorstellungen unterbreitet. Sie bestehen darin, die Zulassung eines gleichartigen Arzneimittels vor Ablauf des Patentschutzes für das Original zu untersagen.

Die verklagten russischen Unternehmen hingegen sind der Meinung, die ausländischen Hersteller würden den Patentschutz für ihre Präparate künstlich verlängern, indem sie angeblich neue Erfindungen patentieren lassen, die jedoch an und für sich keine neuen Präparate sind.

Ende 2018 gab das russische Gesundheitsministerium bekannt, dass ein Gesetzentwurf erarbeitet werden soll, der die Pharmaproduzenten verpflichtet, bei der Zulassung der Präparate den Nachweis zu erbringen, dass keine Patentrechte verletzt werden. Zu hören war seitdem nichts.

Stattdessen prüft die russische Regierung derzeit die Einführung einer Zwangslizenzierung, die den Patentinhaber verpflichtet, Nutzungslizenzen zu angemessenen Bedingungen zur Verfügung zu stellen. Bisher kann dies nur auf gerichtlichem Weg angestrebt werden. Es gibt noch keine Präzedenzfälle in der russischen Pharmaindustrie.

Maria Kotova
ist Reporterin in der Wirtschaftsredaktion von Kommersant.

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